Die Finanzkommunikation erlebt unruhige Zeiten: Viele Megatrends wirken disruptiv und bringen IR-Abteilungen verstärkt in Bedrängnis. Thorsten Greiten, Geschäftsführer und CFO der Kölner Unternehmensberatung NetFederation, erklärt: Das Aktionärsverhalten muss neu bewertet, Stories müssen überarbeitet und Strategien angepasst werden. Social Listening ermöglicht, die Bedürfnisse und Vorstellungen der Zielgruppen in Echtzeit zu analysieren und zu verstehen. Wer in der digitalen Transformation bestehen will, muss wissen, wie sich User bewegen und agieren.
Von Nikolas Kiener, Alexander Reitler und Celine Spitzer
Megatrends in der Finanzkommunikation 2022
Am diesjährigen Symposium Financial Communications sprach Thorsten Greiten in seinem Vortrag über Megatrends, die sich auf die Unternehmensbereiche Investor Relations und Corporate Communications auswirken: Beispielsweise spiegeln sich Neo-Ecology und CSR, New Work und Individualization in aktuellen Web- und Digitaltrends wider. Diese wiederum haben einen Einfluss auf die Content-Erstellung, Zielgruppendefinition, Technologie und Ziele von IR und Corporate-Communications. Solche Entwicklungen sind laut Greiten stets im Wandel, die Unternehmen müssen sich an verändernde Rahmenbedingungen anpassen.
Digitalisierung und Investor Relations
Thorsten Greiten definiert den Begriff Digitalisierung wie folgt: Jede Information ist überall für jedes System und in Echtzeit verfügbar. Wir dürfen gerade eine grenzenlose Vernetzung von verschiedenen Geräten und Content erleben. Um eine Vorstellung davon zu beko mmen, wie sich dies weiterentwickeln wird, gilt es laut ihm drei Gesetze zu beachten: Die Gesetze von Moore, Wright und Kurzweil. Moore’s Law besagt, dass sich die Leistung von Prozessoren in regelmäßigen Abständen verdoppelt. Laut Wright’s Law sinken die Stückkosten kontinuierlich, je mehr produziert wird. Kurzweil’s Law geht davon aus, dass jeder Forscher auf die Erkenntnisse vergangener Generationen zugreifen kann, wodurch Innovationen beschleunigt werden.
Ein Großteil aller Netzbewegungen findet auf Social-Media-Plattformen statt. Beispielsweise werden pro Minute circa 69 Millionen Nachrichten über Nachrichtendienste versendet, bzw. werden auf YouTube circa 500 Stunden Videomaterial hochgeladen. Social Media ist laut Greiten kein Trend sondern die digitale Welt, in der Unternehmen wie Google, Apple und Microsoft mit ihren Konzepten das Netz beherrschen. Deshalb ist es für Unternehmen umso wichtiger, die großen Player der Digitalisierung zu beobachten.
Disruption der Investor Relations: „Kein Stein bleibt auf dem anderen“
Die Corona-Pandemie führte zu einem ungeahnten Digitalisierungsschub und die Kommunikation mit Investoren und Aktionären am Finanzmarkt wandelte sich. Laut Thorsten Greiten tragen acht Elemente zur Disruption von IR bei: Wegfall der Intermediäre und Agenten („Bankensterben“), Blockchain-Technologie (wird in der Lage sein, die Aktie zu ersetzen, z.B. NFTs), Beziehungspflege (hybride Formate als Kommunikationsmöglichkeiten), neue Investmentstandards (Nachhaltigkeit), Änderung der Anlegerkultur (Aktienboom bei jungen Anlegern), Änderungen der Technologie (Ablösung der Smartphones durch neue Technologien), Einfluss von Influencer auf den Finanz- und Aktienmarkt und die Künstliche Intelligenz.
„Kill your Darlings“ – weg mit den alten Mustern!
Die IR muss in Zukunft eigene Digitalstrategien entwickeln mit der Kernfrage der Finanzkommunikation: Wie gelangen meine Inhalte zum User? Zudem ist eine glaubwürdige Kommunikation zum Thema „Sustainable Investment“ alternativenlos und im Storytelling muss die Frage „Why invest?“, also warum der User in das Unternehmen investieren sollte, beantwortet sein. Klima und ESG, Digitalisierung und Wertschöpfung stellen hier die zukünftigen Kernthemen beim Storytelling dar.
Social Listening am Beispiel Wirecard
Social Listening bezeichnet die Analyse der Aktivitäten im Netz, um Kommunikationsrisiken für Unternehmen zu vermeiden. Am Beispiel der Firma Wirecard zeigte Greiten auf: Der Stein kam durch einen Artikel der Financial Times über Betrug und Fälschungen ins Rollen. Die Verbreitung der Nachricht fand dann über verschiedene Kanäle zeitlich versetzt statt. Die meiste Bewegung und Generierung von Inhalten war auf Foren und Finanzblogs zu verzeichnen. Diese Inhalte wurden anschließend von Online-News-Plattformen übernommen und ausgestrahlt. Der Social-Media-Kanal Twitter produzierte zwar keinen neuen Content, fungierte aber als „Brandbeschleuniger“ und verteilte diesen. Lineare Medien wie TV, Radio und Tageszeitungen konnten mit dieser kurzen Reaktionszeit nicht mithalten und reagierten daher kaum oder sehr verspätet. Der Buzz im Netz war zu diesem Zeitpunkt bereits zu 18% negativ und hätte hier von Wirecard frühzeitig erkannt und entsprechend gestoppt werden müssen. Die Reaktion umfasste allerdings nur einen Post auf Twitter und die Schaltung von Twitter-Bots, um positive Bewertungen zugunsten der Firma zu lukrieren. Daraus entstand ein Shitstorm, der hohe Wellen schlug und die Aktie zum Absturz brachte.
„Build your network before you need it”
Was hätten die verantwortlichen Kommunikatoren besser machen können, um die Krise zu entschärfen? Zunächst hätten sie laufend sichtbare Reaktionen im digitalen Raum erstellen können. Schlechte Nachrichten werden von Google im Feed nach oben transportiert, wenn nicht entsprechend reagiert wird. Dadurch entwickelt sich eine Aktie, wie auch bei Gamestop, zum Spielball. Weiters hätte die IR-Website als virtuelle Roadshow und nicht als Totalausfall fungieren müssen. Viele Stakeholdergruppen hätten enormes Interesse an der Aktie bekundet, konnten jedoch auf der Website keine Informationen finden. Zuletzt wäre Social-Media-Monitoring laut Greiten als Must-have in der Krise zu nennen. Social Listening hätte rasch gezeigt, auf welchen Kanälen Handlungsbedarf besteht und wer Influencer und Treiber sind. Darauf hätte Wirecard mit einer schnellen Content-Strategie und funktionierenden Kanälen reagieren können. All dies setzt jedoch voraus, dass ein Netzwerk bereits vor der Krise – und nicht erst währenddessen – aufgebaut wird.
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