Im Gespräch mit Eloy Barrantes, Founder und CEO von nexxar und paradots, im Gespräch mit Anna Jäger und Natascha Schäffer, Studierende im Master-Studiengang Digital Business Communications.
Eloy, gerade jüngere Generationen informieren sich zu den Themen Investieren und Aktien oft über Social Media-Plattformen. Dadurch kommt Social Media langsam auch in den Investor Relations an. Welche Potenziale siehst du für Social Media als IR-Tool?
Grundsätzlich sehe ich riesige Potentiale. Investor Relations hat sich in der Vergangenheit klassischen Pull-Kanälen bedient. Beispielsweise veröffentlichen Unternehmen IR-News auf ihrer Website oder in Form von Präsentationen und Geschäftsberichten. Informationen, die quasi auf ihre Rezipienten warten. Social Media hat das Potenzial von dieser klassischen Pull-Kommunikation hin zu einer Push-Kommunikation zu gehen – also der aktiven Kommunikation mit Stakeholdern.
Social Media nehmen vor allem bei jüngeren Generationen eine wichtige Rolle als Informationsmedium ein. Besonders auf Instagram und teilweise auch Tiktok – da sind die Fin-Fluencer aktuell unterwegs. Es gibt aber noch kein einziges Unternehmen, welches mit einem eigenen IR-Kanal Instagram bespielt. Aus meiner Sicht ist das noch ein Zukunftsszenario, weil sich Unternehmen noch nicht zutrauen, hier mit der Finanzkommunikation aktiv zu werden.
Ich empfehle den meisten Unternehmen auch erstmal, auf den Kanälen anzufangen, die naheliegender sind – zum Beispiel LinkedIn und Twitter. Das größte Potenzial für Unternehmen sehe ich auf LinkedIn. Der Kanal wurde speziell für Business Communication geschaffen und die Risiken unsachlicher Kommunikation und Shitstorms sind weitaus geringer als auf anderen Kanälen. Das liegt vor allem daran, dass Leute dort mit Klarnamen und im Kontext ihres Berufes vertreten sind – das führt zu einer sehr sachlichen Kommunikation. Auch im deutschsprachigen Raum wächst LinkedIn und natürlich sind dort viel mehr private und institutionelle Investor*innen als auf Twitter. Potenzial sehe ich vor allem auch darin, dass Unternehmen ohne viel Aufwand viel mehr Stakeholder mit ihren IR-News erreichen und damit nachhaltig zu einer fairen Bewertung des Unternehmens beitragen.
Durch interaktive Tools und Konzepte erfahren Stakeholder Unternehmensberichterstattung ganz neu. Wie werden neue digitale Konzepte des Reportings auf die Usability getestet?
Man muss interaktive Tools immer auf die Usability testen. Ein großes Thema sind z. B. Kontraste. Es gibt Usability-Tools, die testen, ob die Kontraste von Farben ausreichend sind. Denn für alle Inhalte am Bildschirm sind Kontraste extrem wichtig, weil einerseits unterschiedliche Menschen vor den Bildschirmen sitzen, aber auch unterschiedliche Bildschirme, mit unterschiedlichen Helligkeitsstufen, genutzt werden.
Ein anderes Thema ist die Usability von Tools und interaktiven Infografiken. Vor Veröffentlichung denken wir sehr genau über das UX-Konzept nach. Nach der Veröffentlichung eines interaktiven Tools sehen wir uns dann manchmal noch die Nutzung über Heatmaps an: Wurde das Tool überhaupt verstanden? Lässt sich die von uns angenommene User Journey auch in den Klick- und Lese-Pfaden wiederfinden? Das lässt sich über Heatmaps anhand von Mauszeigerbewegungen sehr gut nachvollziehen.
Wie wichtig ist das Thema Barrierefreiheit im digitalen Reporting?
Das Thema ist auf jeden Fall wichtig. Online-Berichte sind um ein vielfaches barrierefreier, als alle anderen Formen, in denen man einen Bericht veröffentlichen kann. HTML ist im Gegensatz zu Print und PDF von Maschinen lesbar, daher kann ein Screenreader im Online-Bericht nicht nur vorlesen, sondern kann auch im Online-Bericht navigieren, wenn dieser vernünftig gemacht ist.
Bilder werden z. B. in all unseren Online-Berichten mit Alt-Texten versehen. Dann liest der Screenreader vor, was dieses Bild oder diese Grafik zeigt.
Es gibt viele solche Aspekte, die in Online-Berichten schon Standard sind, um die Accessibility zu verbessern. Eine intensive Optimierung des Berichts beauftragen unsere Kunden aber nur in sehr wenigen Fällen. Da sind öffentliche Institutionen deutlich weiter.
Für viele Kund*innen, die seit vielen Jahren mit einem Print- oder PDF-Bericht auskamen, stellt der reine Online-Geschäftsbericht eine Herausforderung dar. Wie können sich eure Kunden*innen den Ablauf eines solchen Projektes vorstellen?
Grundsätzlich ist das eine Herausforderung für Unternehmen, die bis jetzt immer nur in Print gedacht haben. Am Anfang starten wir mit einem Workshop, um zu besprechen, was es heißt, einen Bericht wirklich konsequent für den Bildschirm zu denken. Es geht auch darum, einfache Regeln der Online-Berichterstattung zu etablieren und alte Denkmuster aufzubrechen – etwa die Begrenzung von Zeichenanzahlen für Kapitel, weil Unternehmen das A4-Format einhalten mussten. Genau bei diesen Aspekten muss man sagen: Online hat keine Grenzen. Online-Berichte funktionieren auch nicht linear, man kann nicht davon ausgehen, dass Nutzer nach Seite 4, auch Seite 5 “durchblättert“ – die Nutzerführung ist deshalb in der Konzeption viel wichtiger.
So ein Workshop ist der Auftakt, danach starten wir ganz normal mit der Planung des Berichts. Die technische Umsetzung und Implementierung des Inhaltes sind dabei die kleinste Herausforderung – das machen wir inzwischen seit fast 20 Jahren quasi aus dem FF.
Viele Unternehmen verzichten mittlerweile auf Geschäftsberichte im Printformat und bieten nur mehr einen PDF-Bericht an. Dieser wird meist genauso aufgebaut und designt wie der klassisch gedruckte Geschäftsbericht. Wie erklärt ihr Unternehmen, dass ein PDF-Bericht kein digitaler Bericht ist und wie überzeugt ihr sie von den Vorteilen von Online-Berichten?
Ein PDF ist zwar ein Format, das am Bildschirm geöffnet werden kann, aber an sich kein digitales Medium. Was ich damit sagen will: PDFs wurden niemals für die Nutzung an Bildschirmen entwickelt, sondern für die digitale Abbildung und Verbreitung von Print-Dokumenten. Alle Potenziale, die digitale Berichte haben, werden mit dem PDF-Format deshalb nicht oder nur mit großen Einschränkungen erfüllt. In allen anderen Bereichen der Informationsnutzung sind PDFs deswegen schon verschwunden, zum Beispiel im Bereich der ePapers. Nachrichten lesen wir online. Kein Mensch lädt sich noch ein PDF dafür herunter.
Das hat auch den Grund, dass Informationen heute selbstverständlich überall dort rezipiert werden, wo man gerade ist. Wenn man im Urlaub etwas nachlesen will, dann nimmt man das Smartphone und recherchiert kurz. Die Nutzer*innen wollen dann keine Inhalte finden, die als PDF dargestellt werden oder Informationen, die man am Smartphone überhaupt nicht nutzen kann.
Man muss Informationen heute für jeden Use Case anbieten und deswegen kommt PDF gar nicht mehr in Frage. PDF ist ein statisches Format, das für unterschiedliche Bildschirmgrößen niemals gedacht wurde.
Detaillierter habe ich das Thema einmal hier in meinem LinkedIn-Blog zusammengefasst.
Die Rechtslegung lässt Unternehmen in Bezug auf Social-Media-Reporting bislang noch in Unklarheit. Mit welchen Regulatorien kann deiner Meinung nach in Zukunft gerechnet werden?
In Zukunft wird es so sein, dass Unternehmen ihre Stakeholder am besten über Social Media erreichen – auch in der IR. Es ist trotzdem wichtig die Corporate Website und andere Formate, als unternehmenseigene Medien, von Social-Media-Kanälen, als fremdgesteuerte Plattformen, zu differenzieren. Sensible Finanzinformationen müssen daher immer zuerst auf der Corporate Website, beziehungsweise über die klassischen Investor Relations-Kanäle veröffentlicht werden, bevor sie auf Social Media zu finden sind.
Auch Fin-Fluencer unterliegen diversen rechtlichen Regulatorien, agieren aber gefühlt noch in einer Art Grauzone. Auch dieser regulative Bereich wird in Zukunft spannender.
Du hast letztes Jahr gemeinsam mit deinem Bruder Paradots gegründet. Was genau steckt hinter der Idee von Paradots?
Hinter Paradots steckt die Idee, das Thema Investor Relations in das digitale Zeitalter zu heben. Wir hatten das Gefühl, dass alle Kommunikationsinstrumente, die Unternehmen im Bereich Investor Relations nutzen, zum Beispiel PDF-Geschäftsbericht, Corporate News, Analysten-Calls, Hauptversammlung, aus dem letzten Jahrtausend stammen.
Es hat sich in der Art und Weise der IR-Kommunikation seit 1999 nicht viel fundamental verändert. Social Media, die in allen anderen Bereichen der Unternehmenskommunikation schon längst erschlossen wurden, werden aus irgendeinem Grund in der Investor Relations noch nicht oder nur zaghaft genutzt. Vielleicht denken IR-Mitarbeiter, dass Social Media nicht professionell genug sind, doch das ist ein riesiger Trugschluss. Informationen werden heute von privaten und institutionellen Investoren über Social Media gefunden, daher muss man dort mit IR-Themen ebenso vertreten sein, wie die Unternehmenskommunikation. Nur so kann man sich als Investor-Relations-Abteilung auf die zukünftigen Generationen einstellen.
Es braucht ein Umdenken und das wollen wir mit Paradots schaffen: Wir wollen komplexe IR-Informationen „snackable“ für Social Media aufbereiten und das vor allem durch Motion Graphics. Mehr Infos findet ihr auf der Paradots Website.
Welche Potentiale und Trends siehst du im Bereich Corporate Content in Bezug auf Bewegtbild?
Grundsätzlich bin ich der Meinung: Bewegtbild braucht immer einen Grund. Ich würde Unternehmen nicht raten, alle Social-Media-Inhalte zwangsläufig in Bewegtbild aufzubereiten. Man sollte Bewegtbild dann einsetzen, wenn es einen Mehrwert bietet. Ein riesiges Potenzial von Bewegtbild ist beispielsweise, dass schwierige Sachverhalte einfach erklärt werden können. Eine komplexe Infografik würde in Print-Publikationen vielleicht 3 bis 4 A4-Seiten einnehmen, aber anhand von Explainer Videos kann die Darstellung sehr leicht verkürzt und vereinfacht werden.
Videos ermöglichen es, Botschaften einfach und in Sequenzen zu vermitteln, anstatt Rezipienten mit allen Informationen zu „erschlagen“. Inhalte können erklärt und gleichzeitig auf Social Media emotionalisiert werden.
Kann Bewegtbild auch bei Geschäftsberichten eingesetzt werden? Gibt es hier schon gute Beispiele?
Absolut. Ein großer Punkt ist das Thema CEO-Kommunikation, beziehungsweise CEO-Videos. Wir haben mit Paradots in diesem und im vergangenen Jahr das CEO-Video der Vienna Insurance Group (VIG) für den Online-Geschäftsbericht aufbereitet In diesem Fall ging es beispielsweise darum, das Berichtsmotto „mehr versichern mit Verantwortung“, in einem Video mit der Vorstandsvorsitzenden aufzugreifen. Videos gelingt es in der Regel besonders gut, Botschaften authentisch und klar zu übermitteln. Investitionsentscheidungen hängen nun Mal oft auch an Menschen. Deshalb ist es wichtig, den Vorstand aktiv nach außen zu kommunizieren.
Paradots bietet unter anderem Explainer Videos, Social Media Videos, Video Production und Interactive Videos an. Welcher dieser Bereiche wird zurzeit am stärksten nachgefragt?
Gerade das Thema Social-Media-Videos ist natürlich wichtig. Vor allem im Investor Relations- und Nachhaltigkeits-Bereich. Ich denke aber, dass Unternehmen in dem Bereich viel mehr Explainer Videos machen müssen. Auch hier gibt es ein gutes Beispiel auf dem Investor Relations-Kanal der VIG bei LinkedIn. In einem kurzen Erklärvideo wurde hier die Unternehmensstrategie zusammengefasst.
Außerdem müssen sich Unternehmen mit der Frage beschäftigen, warum Stakeholder in ihr Unternehmen investieren sollen. Hier kann in einfachen Worten die Equity Story des Unternehmens erklärt werden, ohne viel Text und komplizierte Infografiken. Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren viel mehr Unternehmen sehen werden, die auf Social Media mit Investor Relations-Content vertreten sind, als heute.
Ausblick in die Zukunft: Die Zukunft des Reportings ist digital, wie denkst du wird sich das Reporting in den nächsten 5 Jahren verändern?
In den nächsten fünf Jahren wird sich das Reporting auf verschiedenen Ebenen drastisch verändern. Für mich ist das jetzt gerade die spannendste Zeit im Reporting überhaupt. Ich befasse mich bereits seit rund 15 Jahren damit und ich glaube, es stehen wirklich viele große Änderungen vor der Tür. Ein Bereich ist zum Beispiel die Erstellung von automatisierten Berichten: Künstliche Intelligenz und Disclosure Management-Systeme werden immer wichtiger.
Ich kann mir vorstellen, dass in 5 Jahren die meisten großen Unternehmen weitgehend auf manuelle Prozesse verzichten werden und zum Disclosure Management-System übergehen. Ich glaube, dass es noch viel digitaler wird. Unternehmen werden in Zukunft noch mehr erkennen, dass sie mit einem PDF nicht mehr weiterkommen, sondern die Berichte wirklich digital sein müssen und für digitale Stakeholder – die bereits längst digital leben – geschaffen werden müssen.
Aufmerksamkeit zu generieren, funktioniert am besten digital. Zum Beispiel durch Push Reporting, also die aktive Kommunikation von Reporting-Inhalten in Social Media. Aber auch Customized Reporting wird wichtiger. Die wichtigsten Trends im Reporting behandeln wir in diesem Jahr wieder auf der DRC – der Digital Reporting Convention.
Vielen Dank für das Interview!
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Studiums des berufsbegleitenden Masterstudiengangs Digital Business Communications an der FH St. Pölten, mit den Schwerpunkten Corporate & Sustainability Communications, Investor Relations und Digital Reporting. Bei Fragen wenden Sie sich gerne an die Studiengangsleiterin Monika Kovarova-Simecek.
Bildquelle: © FH St. Pölten