Digital Business Communications

Integrated Reporting: Durch den Standarddschungel zur besseren Berichterstattung

Integrated Reporting bedeutet eine konsequente Verknüpfung von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung oder einfacher: Unternehmen ganzheitlich zu betrachten. Der Ansatz ist nicht neu, allerdings konnte er sich in der Praxis trotz seiner Vorteile bislang nicht durchsetzen. Durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erlebt Integrated Reporting jedoch eine Renaissance. Im Zuge unseres Forschungsprojekts zur Integrated Reporting Praxis in Österreich, das wir von Oktober 2021 bis Jänner 2022 zusammen mit Deloitte durchgeführt haben, haben wir auch die Reporting-Experten Nikolai Haring (Deloitte) und Josef Baumüller (WU Wien) zu den Potenzialen von Integrated Reporting, den Hürden bei der Umsetzung, und wie man sie überwinden kann, befragt. 

Das Gespräch führten Melanie Spreitzer, Annika Henschel, Max Sasse und Michaela Krenn, Studierende des Master Studiengangs Digital Business Communications der FH St. Pölten.

Herr Haring, es scheint auf der einen Seite ein unternehmerisches Interesse an Integrated Reporting zu bestehen und auf der anderen Seite zeigen unsere Forschungsergebnisse, dass Unternehmen erst integriert berichten werden, wenn sie die Regulatorik dazu zwingt. Was sind ihrer Ansicht nach die Hindernisse bei der Umsetzung von Integrated Reporting?

Nikolai Haring: Zunächst möchte ich die Begriffe „integrierte Berichterstattung“ und „Integrative Thinking“ voneinander abgrenzen. „Integrative Thinking“ ist die Voraussetzung für Integrated Reporting (IR) und bedeutet, dass man Finanz- und Nicht-Finanzwelt kognitiv vernetzt, also die Zusammenhänge sieht. Das ist, glaube ich, die Herausforderung. Daraus ergibt sich gleichzeitig auch die Komplexität der integrierten Berichterstattung. Ich vermute, dass diese Hürde größer ist als das aktuelle unternehmerische Interesse.

Regulatorisch steht Integrated Reporting noch vor einigen Herausforderungen. Wir sehen schon Ansätze der integrierten Berichterstattung in einzelnen Regelwerken. Bei der EU-Taxonomie-Verordnung gib es zum Beispiel drei Nachhaltigkeitskennzahlen, die auf Finanzinformationen basieren. Wir werden es auch bei der CSRD sehen, also der EU-Richtline für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, dass die Unternehmen zukünftig ihr Umfeld aus einer Inside-Out- und Outside-In Perspektive betrachten müssen. Sie müssen überdenken, wie das Unternehmen auf sein Umfeld wirkt und auch umgekehrt – wie die Umwelt das Unternehmen beeinflusst. Das IIRC-Framework gibt einen Rahmen für Integrated Reporting vor, enthält aber keine konkreten Details zur Umsetzung. Es gibt also Ansätze für Integrated Reporting in der Regulatorik, das sind aber noch nur Puzzleteile und kein vollständiges Bild.

Zusätzlich befinden wir uns auch noch in einer Phase, in der im Bereich Nachhaltigkeitsberichterstattung noch sehr viel zu tun ist. Es braucht noch Zeit, bis sich eine Standardisierung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung durchgesetzt hat und die Unternehmen die Strukturen geschaffen haben, die benötigt werden, um nichtfinanzielle Daten zu erheben. Wenn das abgeschlossen sein wird, könnte als nächster Schritt das Zusammenführen von finanzieller und nichtfinanzieller Berichterstattung kommen und das Integrated Reporting könnte an Bedeutung gewinnen.

Glauben Sie, es gibt spezielle Herausforderungen in der Standardsetzung für Integrated Reporting, die es bei der separater Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht gibt?

Nikolai Haring: Integrated Reporting ist nicht nur Finanzberichterstattung plus Nachhaltigkeitsberichterstattung. Der Mehrwert des Integrated Reporting besteht darin, die Zusammenhänge aufzuzeigen. Diese Zusammenhänge sind sehr unternehmensspezifisch, das heißt, es ist fraglich, wie weit man das standardisieren kann. Das ist eine Herausforderung, die man bei der Normensetzung für Integrated Reporting haben wird.

Josef Baumüller: Hier möchte ich noch einwerfen, dass die im IIRC-Framework verwendete Definition nicht die einzige Interpretation von Integrated Reporting ist. Wir haben viele Berichte, die sich integriert nennen, aber nach herrschender Meinung nicht dem entsprechen. Umgekehrt gibt es auch einige Berichte, die sich jetzt nicht als integriert bezeichnen, wo sich aber schon sehr viele Elemente dieses Zusammenhangs zwischen finanzieller und nichtfinanzieller Informationen wiederfinden. Folglich stehen wir auch noch vor definitorischen Herausforderungen.

Sind Sie zuversichtlich, dass neue, bessere Standards, wie die CSRD der Europäischen Kommission, zu mehr integrierter Berichterstattung führen wird?

Josef Baumüller: Grundsätzlich würde ich sagen ja, dem ist so. Man kann auch erkennen, dass Integrated Reporting auf der EU-Ebene wieder wichtiger wird. Wir sehen aber auch die Hürden im politischen Prozess. Vor kurzem wurden bei einem großen Meeting der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und europäischen Parlament in Bezug auf die CSRD wieder viele Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel, ob die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein eigenes Kapitel sein soll oder ob man sie auf verschiedene Kapitel im Lagebericht verteilen kann. Würde man es als eigenes Kapitel machen, wäre das aus meiner Sicht wieder ein Hemmnis.

Nikolai Haring: Ja, da bin ich ganz bei dir, wenn es wirklich integriert sein soll, dann kann es nicht in einem abgeschotteten Teil des Lageberichts sein.

Josef Baumüller: Und noch als weitere Anmerkung: Es gibt auch Herausforderungen aus den Bereichen Prüfung und Haftung. Für Leser ist es intransparent, welche Informationen geprüft sind und welche nicht. Agrana hat hier zum Beispiel versucht, Seiten mit einem „grünen Daumen“ zu markieren, wenn sie nicht geprüft sind, es gab hier noch mehr Experimente zu beobachten, regulatorisch ist hier aber noch nicht alles abschließend durchdacht.

Nikolai Haring: Daran wird aber gearbeitet. Im Moment sind die finanziellen Berichtsteile auf einem höheren Prüfungsniveau. Die Prüfung von Nachhaltigkeitsberichterstattung läuft vorerst auf dem Level „Limited Assurance“, soll dann aber in ein paar Jahren auf „Reasonable Assurance“ steigen. Bis wir hier die Prüfungsprozesse angepasst und die regulatorischen Vorgaben ausreichend definiert haben, wäre es vielleicht sinnvoll, den Nachhaltigkeitsbericht abzutrennen, in ein paar Jahren könnten wir dann aber auch tatsächlich integriert berichten.

Also die Gesetzgebung scheint für Integrated Reporting entscheidend zu sein. Überrascht es Sie, dass Unternehmen die Umsetzung so stark von dem rechtlichen Rahmen abhängig machen?

Nikolai Haring: Ich glaube, dass Unternehmen sehr oft erst dann etwas tun, wenn sie dazu gezwungen sind. Es sind eher einige wenige Unternehmen, die da Vorreiter sind. Insofern überrascht mich das nicht.

Josef Baumüller: Für Unternehmen ist das einfach eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Was gewinne ich dadurch, dass ich das freiwillig mache? Wird das auf dem Kapitalmarkt honoriert und was sind die Kosten, die da hineingehen? Ich denke, dass in Österreich diese Rechnung sehr schnell sehr unvorteilhaft aussehen kann. Am Ende muss der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen schaffen, damit dieses fortschrittliche Verhalten honoriert wird.

Nikolai Haring: Ich denke auch, dass die Rahmenbedingungen am Markt hier ein wichtiger Faktor sind. In Deutschland sind die Unternehmen fortschrittlicher und haben eine höhere Qualität der Berichterstattung. Das hat mit der Unternehmensgröße zu tun, weil sie sich mehr leisten können, aber auch mit dem Nutzen für die Stakeholder. Wenn es mehr Investoren gibt und diese auch ein Bedürfnis nach einer integrierten Berichterstattung haben, zahlt es sich auch aus, einen Bericht zu machen, der mit höheren Fixkosten verbunden ist. Der Druck der Stakeholder könnte groß genug sein, damit ein Unternehmen integriert berichtet.

Wie kann man das Top-Management von den Vorteilen der integrierten Berichterstattung überzeugen?

Josef Baumüller: Zu den wichtigsten Vorteilen des Integrated Reporting auf Unternehmensseite gehört die Einfachheit und Fokussiertheit. Es ist ähnlich wie bei der Balanced Scorecard, das Tool selbst ist nicht so relevant wie die daraus gewonnene Klarheit. Das Commitment der obersten Unternehmensorgane ist entscheidend, um diese Vorteile zu nutzen. Das Integrative Thinking muss ein Teil der Managementphilosophie sein. Im Kontext dieser Frage muss man überlegen, wie man die Besserungen durch Integrated Reporting messbar macht. Zum Beispiel, dass lästige Klein- und Großaktionäre ihr Verhalten ändern oder dass man im Finanzierungsbereich einen Vorteil hat.

Nikolai Haring:  Neben dem Nutzen für die Stakeholder können auch regulatorische Vorgaben oder persönliche Präferenz das Top-Management motivieren. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch bis zum gewissen Grad eine Generationenfrage ist. Vielleicht stehen jüngere Generationen dem Integrated Reporting aufgeschlossener gegenüber. Es gibt Unternehmen mit Vorständen, die schon sehr stark Richtung Nachhaltigkeit denken, andere tun das überhaupt nicht. Wir sind hier auch in einer Übergangsphase.

Könnte auch Qualität ein Überzeugungsgrund sein? Sehen Sie einen qualitativen Unterschied zwischen integrierten und nicht-integrierten Berichten?

Josef Baumüller: Meine subjektive Antwort lautet ja, wobei man hier bei der Frage der Kausalität aufpassen muss. Berichten Unternehmen durch integrierte Berichte tatsächlich besser oder sind es Unternehmen, die bereits qualitativ hochwertiger und mehr berichten, die freiwillig den Schritt zum Integrated Reporting gehen? Meine Wahrnehmung ist, dass Unternehmen, die schon viel machen, zu ambitionierten Modellen, wie dem Integrated Reporting, wechseln.

Nikolai Haring: Ich denke es kommt in großem Maß auf die regulatorische Umsetzung an. Ich kann hierzu eine Anekdote von der Bachelorarbeit meiner Kollegin Karoline Reisenauer erzählen. Sie hat sich mit der Qualität von Nachhaltigkeitsberichterstattung im Finanzdienstleistungssektor beschäftigt. Eine Interessante Erkenntnis ihrer Arbeit ist, dass sich die Qualität der Berichte nach der Einführung der NFI-Richtline verschlechtert hat. Mir fallen zwei mögliche Gründe dafür ein: Die Unternehmen könnten vor der NFI-Richtline umfangreicher berichtet haben und sich nach der Einführung nur noch an den Anfordernissen orientieren. Es könnte auch sein, dass Unternehmen vorher individueller berichtet haben und dann durch die Standardisierung in ein Korsett gezwungen wurden, das nicht informativer ist für die Berichtsadressat*innen. Standardisierung muss also nicht immer einen Zuwachs in der Qualität der Berichterstattung bringen.

Josef Baumüller: Da möchte ich kurz einhaken. Es stellt sich natürlich immer die Frage, was der Messwert für Qualität ist. Man kann quantitativ nachforschen, wie viele Informationen vermittelt werden, aber es gibt hier noch weitere Bewertungsansätze. In der Standardisierung erleben wir gerade den nächsten Schritt mit den über uns hineinbrechenden europäischen Standards. Es gibt viele, die sich darüber freuen, gerade der Finanzsektor gehört da zu den großen Befürwortern. Es ergeben sich daraus Daten, die vergleichbarer sind und in Excellisten eingetragen werden können, in einem European-Single-Access-Point. Es gibt aber auch Stimmen, die das kritisch sehen. Eigentlich ist der Sinn der Nachhaltigkeit und des Integrated Reportings, zu überlegen, was meine Geschäftstätigkeit und meine relevanten Auswirkungen auf die Welt sind. Die europäischen Standards sind dann wieder die „Tick-Boxen“. Man generiert damit viele Daten, aber die Relevanz ist zu hinterfragen und man erspart damit den Unternehmen das Nachdenken. Deswegen könnte aber auch Integrated Reporting wieder relevanter werden, weil es die Lücke schließen könnte und die Unternehmen wieder zum Nachdenken anregen würde. Damit würde Nachhaltigkeit wieder Abseits der „Tick-Boxen“ mit der Wertschöpfung verknüpft werden.

Sehen Sie besondere Herausforderungen in der Prüfung von integrierten Berichten?

Nikolai Haring: IFRS-Berichte haben üblicherweise einen sehr umfangreichen Anhang, wo sehr viel überprüft werden muss. Im Zusammenhang mit der Standardisierung: Auch Wirtschaftsprüfer arbeiten nur mit einfachen Tick-Boxen, in denen Zusammenhänge nicht dargestellt werden. Das kann dann auch dazu führen, dass Probleme in der Bilanzierung übersehen werden.

Josef Baumüller: Was ich dazu auch noch erwähnen will, ist, dass die Standardisierung die Verdichtung zwischen finanzieller und nichtfinanzieller Berichterstattung erhöht. Gerade bei der Risikoberichterstattung stellt sich die Frage, wie konsistent das ist, was wir im finanziellen Teil berichten und was wir im Nachhaltigkeitsteil berichten. In der Berichterstellung sind häufig noch immer Silos – die einen kümmern sich um den Nachhaltigkeitsbericht und die anderen machen den finanziellen Teil. Dadurch passt es bei den Risiken oft gar nicht zusammen, was in den einen Teil und was in den anderen Teil geschrieben wird. Genau das sollte Integrated Reporting lösen können.

Nikolai Haring: Bei den Enforcern steht das Finanzwissen im Vordergrund. Wenn man sich die personelle Zusammensetzung anschaut, sind das alles Leute mit hoher Expertise im Bereich Finanzberichterstattung-Standards und ich glaube, dass es hier Nachholbedarf bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung gibt. Wir kennen das von der ESMA, der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde, die jährlich Enforcement-Schwerpunkte herausgibt, an denen sich dann auch die nationalen Enforcementstellen orientieren. Da wird jetzt Nachhaltigkeitsberichterstattung prominent. Das wird dazu führen, dass irgendwann die Frage gestellt werden wird, ob die finanzielle und nichtfinanzielle Berichterstattung zusammenpasst. Das wird zu einer Vorgabe, genauso wie die Primary Financial Statements mit dem Anhang zusammenpassen müssen. Es kann aber noch dauern, bis das Personal das nötige Know-How aufgebaut hat, bevor sie solche Unterschiede challengen können.

Josef Baumüller: Personelle Aspekte sind hier ganz sicher ein wichtiger Punkt. Ein Problem im Enforcement in der Nachhaltigkeitsberichterstattung, das sich sicher ändern wird, ist, dass das NaDiVeG und die europäischen Vorgaben so schwammig sind. Da wirklich eine Feststellung zu formulieren, die konkret sagt, was falsch ist und mit all den Publizitätswirkungen geändert werden muss, ist schwer. Viele Feststellungen gab es in den letzten fünf Jahren nicht. Die CSRD und die Standards werden das ändern. Dann gibt es erstmals auch verbindliche Soll-Objekte, die ein Beurteilen von richtig, falsch, vollständig, unvollständig möglich machen, mit konkreten Verweisen auf die Regelwerke. Das Integrated Reporting ist dann noch eine Spur weiter und ich glaube, dass wird auch weiterhin sehr schwer für den Enforcer.

Information Overload ist ein Begriff, der in der Forschung häufig vorkommt. Eine eindeutige Meinung ob der Information Overload steigt oder sinkt, gibt es aktuell nicht. Wie sehen Sie das?

Nikolai Haring: Wenn man sich die aktuelle Finanzberichterstattung und nichtfinanzielle Berichterstattung anschaut und wir davon ausgehen, dass durch das Integrated Reporting noch Informationen dazukommen, würde man im ersten Moment glauben, dass das definitiv der beste Weg zum Information Overload ist. Das eigentliche Konzept von Integrated Reporting ist aber, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und die wichtigsten Zusammenhänge aufzuzeigen. Damit ließe sich ein Information Overload vermeiden.

Im Bereich der Europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung-Standards sehen wir bei den kürzlich veröffentlichten Arbeitspapieren, dass diese viele Standards kombinieren. Leider erfolgt das nicht in einem Best-of, sondern als ein All-of. Es wird versucht, alle Regelungen reinzupacken. Daran sieht man, dass es auch für große Institutionen schwer ist, zu erkennen, was das Wesentliche ist.

Josef Baumüller: Ich würde das voll und ganz unterstreichen. Bei österreichischen Unternehmen, die versuchen, Integrated Reporting zu machen, ist es meistens so, dass da noch was on-top dazukommt – noch weitere Ausführungen, noch ein Kapitel – und das erhöht die Komplexität. Ein Musterbeispiel für Integrated Reporting kommt aus Frankreich von dem Unternehmen Société Générale. Die veröffentlichen ihren integrierten Bericht als separates, zusätzliches PDF. Es gibt einen eigenen Nachhaltigkeitsbericht und Finanzbericht mit seinen 425 Seiten. Die Schlüsselinformationen werden aber in einem 50 bis 80-seitigen integrierten Bericht verdichtet. Darin werden finanzielle und nichtfinanzielle Informationen in einem logischen Zusammenhang gebracht. Damit fallen viele Limitationen der integrierten Berichterstattung weg, das ist aber auch kostspieliger. Es zwingt das Unternehmen dazu, sich Gedanken zu machen und ermöglicht auch Story Telling, also das Spinnen eines Narrativs. Für Rezipient*innen könnte das ein erstmaliger Zugang zu der Fülle an Informationen über das Gesamtunternehmen sein. Damit könnte man vielleicht auch Adressant*innen erreichen, die sich aktuell in Berichten nur den Bilanzgewinn und Jahresüberschuss anschauen.

Wir haben jetzt viel über die EU gesprochen. Wie glauben Sie, dass es auf der internationalen Ebene weitergeht?

Josef Baumüller: Also das, was die Leute wahrscheinlich am meisten interessiert, das sind die Entwicklungen auf der Ebene der IFRS-Stiftung mit dem International Sustainability Standards Board und den IFRS Sustainability Disclosure Standards. Die haben das Tempo an sich gerissen mit den Exposure Drafts. Ich möchte jetzt nicht zu viel darüber reden, weil das ist eigentlich wieder Nachhaltigkeitsberichterstattung. Aber dem wohnt die inhärente Idee inne, wieder mehr auf den Unternehmenswert zu achten. Das Selbstverständnis dieser Standards ist stärker auf die finanzielle Berichterstattung ausgelegt. Ist klar, die wollen alles in einer Hand haben, da gibt es die ganze Unternehmensrechnung im Paket zu erwerben. Die haben nebenbei aber auch etwas gemacht, das zumindest in den inneren Fachkreisen für ehrfürchtige Stockatmung gesorgt hat: Es gab eine Verschmelzung, die zum Großteil abgeschlossen ist, zwischen dem ISSB, das ist ein neues Board für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, dem SASB, das ist das US-amerikanische Board, und dem IIRC, also das für Integrated Reporting.

Zuerst haben sich SASB und IIRC zur Value Reporting Foundation verschmolzen. Danach haben sie noch ein weiteres Board mitgenommen. Viel zitiert ist das als der „Biggest Change in Reporting since the 1930ies“. Das erschließt sich leicht, wenn man sich vor Augen führt, dass dieses Thema Harmonisierung von US-GAAP und IFRS schon seit Jahrzehnten ein Thema ist. Diese Konvergenzprojekte sind immer gescheitert. US-GAAP und IFRS kochen bis heute noch ihr eigenes Süppchen. Im Nachhaltigkeitsbereich ist man dann einfach „out of nothing“ zu einer Einheit geworden, in den IFRS Sustainability Disclosure Standards. Das ist beachtlich und das wird dazu beitragen, dass etwas unglaublich Wirkmächtiges entsteht.

Ich habe erst letzte Woche gelesen, dass die chinesische Börse seinen Emittenten empfiehlt, diese Standards anzuwenden. Damit haben wir die chinesische Volkswirtschaft, die vielleicht schon als Fixstarter dabei ist, und wahrscheinlich auch den amerikanischen Kapitalmarkt, wo nur noch ein paar Fragen offen sind. Es handelt sich nicht nur um einen Reporting-Standard für Nachhaltigkeitsberichte, sondern auch um einen Integrated Reporting-Überbau. Im Moment wird das IIRC noch selbstständig fortgeführt, aber in ein paar Jahren könnte das auch vollständig in diesen Standards aufgenommen werden. Das wäre der Durchbruch, die Sustainability Disclosure Standards werden einen Flächenbrand auslösen, der von dem Integrated Reporting Framework als Trägermedium genutzt werden kann. Damit gäbe es ein Rahmenwerk, dass die Basis schafft für die Datenerhebung und die Flächenwirksamkeit von Unternehmen, die faktisch oder tatsächlich gezwungen sind, dieses anzuwenden. Die Entwicklung, die aus dieser Ebene kommt, ist noch sehr früh, aber das wird die Geschichte in den nächsten 10 Jahren wesentlich anders gestalten als in den letzten 10 Jahren.

Herr Haring, haben Sie noch eine Ergänzung dazu aus Prüfersicht?

Nikolai Haring: Es ist sicher spannend zu sehen, wenn institutionell diese Konsolidierung stattfindet, ob auch die einzelnen Normen zusammengeführt werden. Es wird interessant sein, das Zusammenspiel zwischen europäischen und internationalen Nachhaltigkeitsberichterstattung-Standards zu beobachten. Wenn das ISSB inklusive Integrated Reporting eine Monopolstellung hat – wir wissen aus der Volkswirtschaft, Monopole sind selten gut -, dann kann sich das aber auch negativ auf die Qualität auswirken. Möglicherweise wäre ein Oligopol mit einer gewissen Diversität und einem Wettbewerb sogar für die Qualität der Standards gut.

Herr Haring, als Initiator unseres Forschungsprojekts, was können Sie aus unseren Forschungsergebnissen mitnehmen? Was sind ihre Key-Takeaways?

Nikolai Haring: Deloitte ist schon sehr stark im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Integrated Reporting ist hier in Teilen bereits inkludiert, ist aber ein Thema, dass in ein paar Jahren dann wohl noch stärker kommen wird. Was man machen kann, ist, bei den Klienten mal eine gewisse Awareness zu schaffen. Mit dem Thema vertraut zu sein und zu wissen, was mit Integrated Reporting gemeint ist, ist schon mal der erste Schritt. Der könnte auch gewisse Ängste und Barrieren entfernen.

Mein Gefühl ist schon, dass langsam auch Bewusstsein da ist, was integrierte Berichterstattung bedeutet. Wir haben unter anderem auch die Wienerberger AG beraten und hier weiß der CFO, dass Integrated Reporting nicht nur das Nebeneinanderlegen von Finanz- und Nachhaltigkeitsbericht ist. Ich sehe es als unsere Aufgabe und als Aufgabe dieser Forschungsarbeit an, dieses Bewusstsein zu schaffen und zu steigern.  

Was können Sie mitnehmen, Herr Baumüller? Vor allem für ihre Arbeit in der Forschung und als emsiger Teilnehmer an Hauptversammlungen?

Josef Baumüller: Es führt mir wieder diese Kosten-Nutzen-Erwägungen vor Auge. Einerseits glaube ich, dass es viele gute Argumente gibt, aber dass es auch gute Gegenargumente und Hindernisse für Integrated Reporting gibt. Rechnungswesen und Reporting ist kein „Wünsch dir was“ und basiert letztlich auf Kalkulationen. Aber die besprochenen Entwicklungen lassen mich daran glauben, dass es vielleicht in einer anderen, noch zu definierenden Form, an Bedeutung gewinnen wird. Bei Hauptversammlungen könnte ich mir vorstellen, dass diese mit einer Folie zu dem Wertschöpfungsprozess starten könnten. Das muss nicht dieser Integrated Reporting-Krake sein. Die Schlüsselfrage bleibt: Wie verdient das Unternehmen sein Geld und welche ökologischen, sozialen und sonstigen Auswirkungen hat dieser Prozess? Wenn man mir das in wenigen Sätzen verständlich erklärt, bin ich ein glücklicher Mann.

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